Montag, 19. Dezember 2005

Joan Miró?

Wir sitzen uns gegenüber, die vergangenen drei Stunden hatten wir einen langen Gesprächsfaden gespannt und uns über Kindheit, Schule, Studium, Zukunftspläne, Wünsche, Wertvorstellungen und so Kram unterhalten.
Immer wieder fiel mein Blick dabei auf zwei Bilder hinter ihr, die durch ihre farbliche Zusammensetzung und abstrakten Formen mehr hervorstach anstelle jeglicher Aussage oder höherer Wertigkeit. Diese Bilder gehören zu jenen, die ich einordne in die Kategorie Mittvierzigerin, Hausfrau, zwei Kinder fast erwachsen, Midlife-Crisis bereits abgeschlossen nun auf mehr oder minder erfolgreichen Selbstfindungstrip mittels "Malen durch Klecksen und Schmieren" an der hiesigen Volkshochschule gewesen sein muss, wobei die ästhetisch geschwungene vollständige Unterschrift mit Datum in schwarzer Dispersionsfarbe rechts unten weit aussagekräftiger zu erachten ist, als das plakative Gesamtkunstwerk im Wesentlichen-Ganzen.

Ich: " Ich 'liebe' solche Bilder" (wobei mein ironischer Unterton nicht zu überhören gewesen sein dürfte....)
Sie: "Ja, besonders die beiden hinter Dir gefallen mir am meisten ...."

Als ich mich umdrehe, erblicke ich zwei Bilder, die den mir gegenüberhängenden bis aufs Tüpfelchen gleichen. "Abklatschbilder..." denke ich noch und vermisse die Ironie bei ihr ....

Beinfreiheit

Montagmorgen, 9.20Uhr. Mit diesem satten "Po-lock!"- Geräusch schliessen sich die Türen meines ICEs in Frankfurt/Main Süd. Geschafft, und sogar noch einen der bequemeren Vierer-Plätze mit Tisch ergattert! Wunderbar, denn hier kann man wie nirgends sonst die Beine ausstrecken und hat Platz für seine Haxen. Wenn jetzt noch jemand einen Kaffee hier vorbeischuppst kann es ein perfekter Vormittag im ICE werden.

Ich schlage mein Buch auf und vertiefe mich wieder in die Tiermorde mit Comissario Montalbani. Die tiefverschneite Landschaft zieht vorbei, und allein die Vorstellung irgendwann wieder einmal aussteigen zu müssen finde ich in diesem Moment unerträglich.

Eigentlich haben alle die mit mir in Frankfurt eingestiegen sind, einen Sitzplatz gefunden und ich wähne meine Beine schon in Sicherheit, trügerischer Sicherheit, wie sich kurze Zeit später herausstellt. Ein kleiner Hektiker, etwas mehr als einen Kopf kleiner als ich und dabei breit wie hoch, zwängt sich mit seinem kleinen schwarzen Stress-Koffer auf den letzten, bislang für meine Beine freigebliebenen Sitzplatz, genau mir gegenüber.
Okay, ich weiss, ein Stoertebeker hat kein angeborenes Anrecht auf einen Platz für seine Beine, aber der Anstand hätte zumindest verlangt, dass der kleine Hektiker mir kleine eine Chance einräumt, ihm eine Ausrede vielleicht auftischen zu dürfen warum der Platz belegt ist und dass meine fiktive Begleiterin gerade auf Toilette oder Kaffee holen ist.
Nun ja, hätte er gefragt, hätte ich mich wahrscheinlich dennoch von meiner fiktiven Begleitung getrennt und ihm den Platz widerspruchslos geräumt. Aber so?! Murrend ziehe ich die Beine etwas weiter unter den Tisch, nicht zuletzt aus Selbstschutz, da ich befürchten muss, dass er die Lage der Situation bei weitem nicht so klar sieht wie ich und daher höchstwahrscheinlich auch meine Beine übersehen hat.
Der kleine SChwarze verschwindet unterm Sitz, Hut und Mantel auf der Ablage über meinem Kopf, ohne mich dabei mit dem etwas gestrengen Geruch unter seinen Achseln zu verschonen. Ammoniak! ... fällt mir dabei immer ein. Eine bodenlose Frechheit wie ich finde, denn die Woche hat noch nicht mal richtig begonnen und er hält es nicht mal für nötig sich ihr zu Ehren frisch zu duschen!
Zu guter Letzt ist da noch dieses kleine Aktentäschchen, so wie ich es von alten Arbeitern kenne, die es dann aufklappen, Vesperstulle und Thermoskanne hervorholen ... so wie sich dieses Klischee vor meinem geistigen Auge abspielt, wiederholt es sich anstandslos vor meinem realen Auge ... und zu guter Letzt dann auch die BLÖD-Zeitung. Nein, wie ein Arbeiter sieht er nicht aus, die Tasche ist inzwischen verschwunden, vielleicht Versicherungsmakler, Aussendienstmitarbeiter, vielleicht auch einer dieser schmierigen und etwas anhänglichen Bankfritzen aus der Dorfsparkasse denke ich noch, egal, auf jeden Fall wirkt er nach aussen eher intelektuell.
Mit dem Aufschlagen der BLöD-Zeitung hat er sich diesen Bonus ruckzuck bei mir verspielt, ich hasse Menschen, die auf intelektuell miemem, es dabei auch noch verstehen zu betonen indem sie im Zug eine Zeitung in kompletter Grösse auf dem Vierertisch verteilen, nur dabei blöderweise ausgerechnet dieses Käseblatt in der Hand halten! Der komplette Tisch!Ich meine zu fühlen wie er bemerkt, damit mein vollstes Missfallen hervorzurufen und kann regelrecht spüren, wie er sich in seinem "Wissen" darum badet.
Emotional bin ich am überschäumen und muss mich zwingen in dieser Situation nicht zu platzen. Scheinbar gelassen vertiefe ich mich wieder in mein Buch, blättere ruhig einige Seiten zurück, überfliege schnell so manche Zeile ohne den Inhalt der an mir vorüberziehenden Worte zu registrieren um kurze Zeit später mit einem SChwung alle Seiten wieder an die ursprüngliche Stelle zurückzuschlagen.

Eine sehr ungestüme Aktion, wie sich sofort herausstellen soll, die der Sache nocheinmal eine Wendung verleiht. Unglücklicherweise kommt dabei nämlich mein Buch mit dem oberen Rand seines "Blattes" in Berührung, nicht dolle, es war wirklich nur eine Berührung. Langsam neigt er den Kopf ein klein wenig nach hinten, gerade so weit, dass er über den Rand seiner brillenlosen Fassung schauen kann, mit einem Blick als hätte mich mein Mathelehrer beim Abkupfern erwischt! Es ist einer genau dieser Momente, die einen in eine Zeit und Situation zurückversetzen, von der man gehofft hat, dass sie jetzt nie wieder auftreten wird, und dennoch wird man von solchen Blicken immer wieder eines Besseren belehrt.
Beinahe wäre mir das Blut wieder wie damals in den Adern geronnen, nur diesmal bin ich mir wirklich keiner Schuld bewusst. Ich versuche ihn so kühl und kühn wie möglich über mein Buch hinweg zu fixieren und um meiner Kühnheit noch einen besonderen Ausdruck zu verleihen, ziehe ich die rechte Augenbraue noch ein klein wenig höher als sonst, um die Situation dann mit
"Oh, verzeihen Sie, ich hoffe Ihre grossen Buchstaben sind nicht aus Versehen verrutscht!" vollends zu retten.

So ganz scheint die Rettung dann doch nicht geglückt zu sein, denn als in Aschaffenburg mehr Leute aus- als einstiegen, wechselt mein Gegenüber den Platz zum Nachbartisch.

Aaah, soviel Beinfreiheit in der Bahn ist doch was Herrliches!

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